09 März 2012

Was Europa von Deutschland erwarten kann

Dass Deutschland Europa so schlecht führt, liegt nicht an Angela Merkel persönlich. Aber sie könnte wenigstens versuchen, das zu ändern.
Am vergangenen 6. Februar hielt der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, in Berlin eine Rede, die in einer leidenschaftlichen Verteidigung der heutigen Politikergeneration gipfelte. Es sei ungerecht, den Ratsmitgliedern vorzuwerfen, sie würden im Vergleich zu ihren Vorgängern zu wenig Entschlossenheit und Führungsstärke zeigen. Von den Staats- und Regierungschefs, die ihn im November 2009 ernannten, befinde sich gut zwei Jahre später kaum noch die Hälfte im Amt: Die übrigen seien abgewählt worden oder hätten zurücktreten müssen, und viele von ihnen nur deshalb, weil sie in der Krise gemeinsame europäische Beschlüsse gegen den Druck der nationalen Öffentlichkeit verteidigt hätten.

Nun ist die deutsche Bundesregierung, Van Rompuy hin oder her, offenkundig keine von denen, die für Europa ihre nationale Macht riskieren würden. Im Gegenteil: Hierzulande ist es die Opposition, die darauf drängt, in der Krise mehr europäische Solidarität zu üben, während die Regierung eher zurückhaltend agiert. Sie befindet sich damit in Einklang mit den deutschen Meinungsumfragen, wo die Rettungsmilliarden für Griechenland oder Portugal regelmäßig auf Ablehnung stoßen. In der Öffentlichkeit vieler Krisenländer ist Angela Merkel dafür inzwischen zur Hassfigur geworden. Aber kann man ihr die Scheu vor der eigenen Bevölkerung eigentlich zum Vorwurf machen? Macht sie das im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern wirklich zu einer schlechteren Politikerin? Wie viel Europäismus muss, wie viel darf man überhaupt von einer Regierung verlangen, die letztlich doch ihren nationalen Wählern gegenüber verantwortlich ist?

Die Verantwortung für die EU als Ganzes gehört ins Europaparlament

Tatsächlich hat die Forderung nach europapolitischer Führung oft einen etwas zweifelhaften Beigeschmack. Es ist ja gerade der Sinn der Demokratie, die Regierung an den Willen ihrer Wählerschaft zu binden. Natürlich kann und soll sie auch versuchen, die Bevölkerung von dem zu überzeugen, was sie langfristig für richtig hält – bei Verhandlungen mit anderen europäischen Mitgliedstaaten muss sie aber notwendigerweise die Interessen ihrer Wähler vertreten, nicht diejenigen der EU als Ganzes. Wenn es um die Frage geht, wie die wirtschaftlichen Kosten der Eurokrise verteilt werden, kann man es der Bundesregierung deshalb nicht übelnehmen, dass sie eher bereit ist, eine griechische Rezession als ein aus deutschen Steuergeldern finanziertes Konjunkturpaket in Kauf zu nehmen. Es sind die Mechanismen der nationalen Demokratie selbst, die der Solidarität zwischen Staaten eine Grenze setzen.

Gerade aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass die Verantwortung für das europäische Gemeinwohl bei den supranationalen Institutionen liegt. Die Überwindung der Eurokrise und die Stabilisierung der Währungsunion sind vor allem Fragen der europäischen Innen-, nicht der nationalen Außenpolitik. Ihre gerechte Ausgestaltung betrifft die Bevölkerung der EU als Ganzes und kann deshalb nicht Aufgabe einzelner Nationalstaaten sein. Mit dem Europaparlament steht eine demokratisch legitimierte Institution zur Übernahme dieser Funktion bereit: Wie viel Solidarität in der Krise zwischen reichen und armen Europäern geübt wird, sollte von den europäischen Parteien entschieden werden, die sich dafür bei den Europawahlen vor der europäischen Bevölkerung insgesamt zu rechtfertigen haben.

Eine wirkliche Leistung wäre es, den Supranationalismus zu stärken

Unglücklicherweise haben die supranationalen Organe jedoch nicht die politischen Mittel, um diese Aufgabe zu erfüllen. Die EU kann keine eigenen Steuern erheben, ihr Budget ist viel zu klein, als dass sich daraus nennenswerte Konjunkturmaßnahmen finanzieren ließen, und die Ausgestaltung der Sozialsysteme fällt fast vollständig in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Diese fehlenden unionseigenen Ressourcen waren dann auch der Grund, weshalb die Krisenbewältigung letztlich dem Europäischen Rat überlassen blieb – und damit eben doch den nationalen Regierungen, und besonders der deutschen als der mächtigsten davon.

Der Europäische Rat aber tat nichts, um diesem Umstand abzuhelfen. Statt eine Vertragsreform in die Wege zu leiten, durch die den supranationalen Organen die nötigen Befugnisse übertragen würden, setzte man auf Intergouvernementalismus. Zwar wurde die haushaltspolitische Souveränität der Mitgliedstaaten eingeschränkt, doch weder die griechischen Notkredite noch die Rettungsschirme EFSF und ESM noch der Fiskalpakt gingen mit einer Stärkung des Europäischen Parlaments einher. Die neue „Wirtschaftsregierung“ der Eurozone sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Staats- und Regierungschefs bilden, und auch die Kommission bleibt trotz einiger neuer Zuständigkeiten im Wesentlichen eine Erfüllungsgehilfin für deren Beschlüsse.

Dieser intergouvernementale Rahmen aber wird das Problem einer gerechten Lastenteilung bei der Krisenbewältigung nicht lösen können und gefährdet so die Legitimität der EU insgesamt. Hier ist es deshalb, wo die Bundesregierung europapolitische Führungsstärke zeigen müsste: Sie müsste die Leistung vollbringen, die Verantwortung für die makroökonomische Steuerung der Währungsunion aus den eigenen Händen in die der Kommission und des Europäischen Parlaments zu übertragen. Dass sie sich dem verweigert, unterscheidet Angela Merkel von ihren Vorgängern wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl, die die supranationale Integration als Eckstein der deutschen Europapolitik ernst nahmen.

Dieser Artikel ist heute leicht gekürzt auch im Blog „Deutschlands Agenda“ der Atlantischen Initiative erschienen.
Bild: European People's Party [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.

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